Kein Schafott auf dem Marktplatz,
kein Handel, keine Prozession.
Das Freie Forum spricht zur Situation,
die Berliner Mauer ist gefallen,
der Bautzner Knast füllt sich mit Krawallen,
die mischen sich mit der Opposition.
Nach den Reden kein langes Gerede,
die Kerzen werden angebrannt
und ziehen die Innere Lauenstrasse entlang,
(in der Sechs, im Hinterhaus,
ist der Treffpunkt der sorbische Opposition),
die Genossen schauen aus den Fenstern,
beobachten die Menschenschlange von oben,
und flüstern sich zu:
„Jetzt kommen die Ratten aus ihren Löchern raus“.
Die Bautzener Kerzenschlange zieht weiter,
vorbei am sächsischen Reiter,
zur grossen Vogelkreuzung hinab,
wo bereits ein ruhiger Polizist
mit seiner Kerze in der Hand schwitzt
den Autoverkehr regelt und bangt.
Die Schlange wird Linksabbieger,
das weiß er natürlich genau,
die Schlange ist noch längst nicht der Sieger
trotzalledem, sie lacht plötzlich ganz heiter
zum Volkspolizisten hinüber,
so etwas tat das Volk ja noch nie,
sofort hat er auch seine Sympathie,
und mir schlittern die Knie...
Auf dem Theaterplatz, wo alle sich treffen
zum gemeinsamen Chor „Wir sind das Volk!“
steht Thälmann mit drohender Faust,
als wolle er rufen
„Es lebe das Volk!“
Tage später drückt sich die Schlange
in den Saal der Hotels „Stadt Bautzen“ hinein,
dort reden noch einmal die Bautzner Genossen,
doch buuh-Rufe der wachsamen Schlange
lässt sie nicht länger mehr sprechen,
sie will sich auch nicht mehr rächen,
der Hauptredner hat sich Tage später selber erschossen
im einstigen Hochhaus inmitten der Stadt,
dort wohnten viele Genossen.
Ach, Genossen, ihr zu alten Genossen,
ihr habt euch schon vorher erschossen
in den letzten zehn Jahren vor eurem Volk,
sogar hier, im Tal der Ahnugslosen,
denn ihr habt kaum aufs Volk gehört,
das euch immer wieder und wieder wählte
und auf einige eurer klugen Leute zählte,
doch sogar das hat euch nicht mehr gestört ...